Die transzendente Tribüne*
a. Entlastung von der absoluten Metapher?
Vielleicht weil Philosophen, Hans Blumenberg zufolge, notorische Nichtschwimmer sind, haben sie meistens die sichere Position am Ufer bevorzugt, um dem offenen Meer philosophische Erkenntnisse abzutrotzen. Und wenn sie tatsächlich den Schritt aufs Schiff wagten, sind die wenigsten von ihnen so recht glücklich geworden. Kant plagte während seines einzigen Seegangs die Seekrankheit, Goethe und Nietzsche hatten das Pech der Flaute und Heidegger wurde auf seiner Griechenlandreise gleich dreifach geschlagen: Zunächst fürchtete er die Unternehmung so sehr, dass sie überhaupt erst im wiederholten Anlauf klappte, dann grämte ihn sein Status als Pauschaltourist und schließlich verweigerte er den Landgang aus Sorge um sein spirituelles Gleichgewicht angesichts der möglichen Enttäuschung, dass seine Anblicke der Landschaft mit den Beschreibungen in der homerischen Dichtung nicht zusammenstimmen könnten.
Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinmetapher erscheint 1979 und ist eine weitere metaphorologische Arbeit Blumenbergs. Ob der metaphorischen Signifikanz des Kausalitätenbündels Meer-Seefahrt-Schiffbruch, verwundert es, dass dies noch kein Paradigma der Metaphorologie von 1960 war. An einer einzigen Stelle taucht es dort in dieser Form auf: […] die alte Schicksalsmetapher vom Schiff auf dem Meere fließt hier mit dem neuen Bewußtsein von der Entropie des Weltgeschehens zusammen, das die Gestalt der Reisemetapher aufnimmt, die bei der Odyssee Homers ihren ewigen Quell hat, aber nun die Gegenform der Heimkehrlosigkeit, der Irreversibilität, der Nicht-Kreisförmigkeit hat.
Schiffbruch mit Zuschauer ist vom ersten bis zum letzten Satz der sieben Kapitel Veranschaulichung, oder anders, ein Fest der »Prominenz des Beispiels«. Schon der Titel – der eher imaginativ als programmatisch zu lesen ist – entdeckt die phänomenologische Extraposition des Menschen, der sein institutionelles Leben zwar auf dem Festland gründet, die Bewegung seines Daseins im ganzen jedoch sucht er bevorzugt unter der Metaphorik der gewagten Seefahrt zu begreifen. Dieser erste Satz des Büchleins ist eine definitive Aussage, die keine absolute Metaphorik mehr verbirgt. Die Reversibilität der Logizität ist offenkundig: Seefahrt ist eine Metapher für den Lebensgang. Vor derlei Begründungszusammenhängen scheut sich Blumenberg zwar nicht, aber sie genügen ihm auch nicht. Denn der metaphorische Mehrwert präsentiert sich nun mal nicht auf der spiegelglatten Oberfläche eines rein deskriptiven Sachverhaltes, sondern unter dem Firnis kontingenter Erfahrungen und Bewusstseinsakte. Unter phänomenologischen Aspekten müssen sich beide nicht ausschließen, aber die Theorie bzw. die theoretische Sprache bedarf der Indifferenz. Daher wird in Schiffbruch mit Zuschauer auch stark geschieden zwischen denen draußen auf dem Meer, die die Körper-Arbeit leisten und daher nicht für die Reflexion zuständig sein können, und denen, die dem Treiben auf dem offenen Meer zuschauen und im Zustand der Nicht-Gefährdung die Denk-Arbeit leisten. Diese Modellsituation ist eine Wiederholung der Blumenbergschen Urszene des Zivilisationsprozesses. In Höhlenausgänge konzipierte er eine Anthropologie, nach der die Schwachen im Schutz der Höhle zurück bleiben und die Starken auf die Jagd gehen. Aber während sich die Jäger in Lebensgefahr begeben, erdenken sich die Daheimgebliebenen Geschichten, mit denen sie die Heimkehrer empfangen, und entwickeln Rituale und Kulte, die jeden weiteren Beutezug unter einen inspirativen Schutz stellen.
Die Arbeit am Mythos beginnt.
b. Paradigma 2: Meerblick und Seefahrt
Der erste Schiffbruch-Zuschauer in der stets abstrakten Kulturgeschichte war der lateinische Dichter-Philosoph Lukrez. Seine im Epos De rerum naturea poetisierte uferwärtige Beobachtung in Seenot geratener Schiffe gab die Konfiguration ‚Schiffbruch mit Zuschauer’ vor, der zufolge sich der Philosoph zwar nicht am Elend der Schiffbrüchigen delektiert, wohl aber seine geschützte Position zu schätzen weiß und an dieser überlegenen Situation sein Verhältnis zur Wirklichkeit bestimmt. Demnach ist der Philosoph qua philosophischer Absicherung der Souverän über die differente Konstellation von Naturprozess und Weltbetrieb. Blumenberg liest die nautische Metaphorik des Lukrez als Kultur und Lebensweltkritik, nach der die Schifffahrt ein Frevel wider die Erd- und Festlandverbundenheit des Menschen ist und somit eine ungeheuerliche Grenzüberschreitung – in realer und metaphorischer Hinsicht. Die reale Gefahr ist offenkundig. Mit der Metaphorischen zielt Lukrez auf die ungezügelten Leidenschaften des Menschen, die sich allzu oft in Eroberungen und Kriegen zeitigten. Für ihn gibt es nur eine Alternative zur Schifffahrt und ihren Konsequenzen: am Ufer zu bleiben.
Voltaire intervenierte gegen dieses Verzichtsmotiv. Sein Held Candide muss erst buchstäblich Schiffbruch erleiden, damit er aus der anschließenden Weltabkehr im heimischen Garten einen philosophischen Wert schöpfen kann. Und mit der Deklamation Auf die Schiffe, Ihr Philosophen! figurierte der rhetorische Starkwindsegler Nietzsche die existentielle Funktion der Einschiffungsmetaphorik, wie Blumenberg den menschlichen Daseins-Komplex aus Aufbruchwillen und Risikobewusstsein nennt.
Blumenberg, dessen Zitatenreichtum zur Verschwendung neigt, zitiert Goethe aus einem Brief an Lavater vom 6. März 1776 in einer Fußnote, um die Sprengmetaphorik zu verbildlichen: »Ich bin ganz eingeschifft auf der Woge der Welt – und voll entschlossen: zu entdecken, gewinnen, streiten, scheitern, oder mich mit aller Ladung in die Luft zu sprengen«. Auch alle weiteren Zitate von Pascal, Goethe und Nietzsche suggerieren, dass sich die Seefahrt metaphorisch nur lohnt vor dem Hintergrund der Havarie. Gegen diese Provokation des Unglücks steht Montaignes Ausspruch wie ein Diktum: Aber vorgesehen! Tausend sind noch im Hafen gescheitert. Man ist versucht beides, die vollendete Seefahrt und den unvermeidlichen Schiffbruch, mit der Formel »Manche sind erst im Hafen gescheitert« zu überbieten.
Was sich nicht mehr überbieten lässt, ist der nautisch-metaphorische Fatalismus Goethes, der sich nicht etwa angesichts des aufgepeitschten Meeres einstellt, sondern in trügerischer Flaute: »Todesstille fürchterlich!« heißt es im berühmten Gedicht Meeresstille, dass auf eigenes Erleben referiert. Für die Lebensleistung wird resignierend resümiert: denn wie das Wasser das durch ein Schiff verdrängt wird, gleich hinter ihm wieder zusammenstürzt, so schließt sich auch der Irrthum, wenn vorzügliche Geister ihn bey Seite gedrängt und sich Platz gemacht haben, hinter ihnen sehr geschwind wieder naturgemäß zusammen.
Blumenberg liest an der Spurlosigkeitsmetapher auch Goethes Verhältnis von Geschichte und Natur ab, das für Blumenbergs Goethe-Lektüre überhaupt maßgeblich ist.
Doch reicht das Potential der Schiffbruch-Metapher über ihre finale Desaströsität und Fatalität hinaus. Tatsächlich müsste es heißen: zurück. Denn Blumenberg macht eine Konstellation ausfindig, in der die retrograde Perspektive eine innovative Schiffbruchmetapher spendet: eine Schiffbruchmetapher ohne vorherigen Schiffbruch. Jenes Zurückspulen des Bildprozesses auf eine ‚Ausgangssituation’ auf dem Meere sei zwar undenkbar, aber gerade in dieser Paradoxie entäußerte die konstruktivistische Sprachphilosophie und der logische Positivismus der 60er Jahre eine »Evidenz für die Voraussetzungslosigkeit des absoluten Anfangs«. Paul Lorenzen sah den Versuch, den Ursprung menschlichen Denkens und philosophischen Sprechens methodisch zu deduzieren, »am deutlichsten in einem Bilde gegeben, nach dem die Sprache mit ihren syntaktischen Regeln ein Schiff sei, in dem wir uns befinden – unter der Bedingung, daß wir nie einen Hafen anlaufen können. Alle Reparaturen oder Umbauten des Schiffes sind auf hoher See auszuführen«. Dieses Bild ist noch formallogisch reguliert, denn nach dem Bau kommen die Reparaturen. Daher entfaltet die sprachphilosophische Hypothese vom Nullpunkt erst in der kompletten Inversion der Schiffbruchmetapher ihre suggestive Wirkung, wenn wir – mitten im Meer des Lebens schwimmend – uns ein Floß oder gar ein Schiff erbauen könnten.
Nicht Destruktion, sondern Kreation prägt diese Metapher, der Blumenberg dennoch eine skeptische Abschlussfrage nachstellt: Aber offenbar enthält das Meer noch anderes Material als das schon verbaute. Woher kann es kommen, um den neu Anfangenden Mut zu machen? Vielleicht aus früheren Schiffbrüchen?
* Auszug aus dem Essay "Raumschifffahrten. Kosmos und Meer als Paradigmen in Hans Blumenbergs Metaphorologie" von Anousch O.
akzidentielles schnurren ...
Und ihr habt die ganze Zeit über Sachen gesprochen, von denen ich keine Ahnung hatte und ihr auch nicht. Aber es hat sich verdammt noch mal gut angehört. [...]
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von mir nur soviel: eine angemessene seemannschaft, die auch dann zu beachten ist, wenn frauen an bord sind, verhindert noch jeden angstschrei.
Und ab.
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