Installation (On LYRICA IV)
Mein Freund, Joseph Beuys war kein Seemann nicht Vol. I (Filz, Kupferdraht, Styroporkugel, Aluminiumfolie, Herrenschokolade)
Mein Freund, Joseph Beuys war kein Seemann nicht Vol. II (Filz, Kupferdraht, Styroporkugel, Aluminiumfolie, Herrenschokolade, Kitty)
Als ich gestern Abend von einem sehr schönen Tagesurlaubsausflug aus Leipzig, wohin ich morgens mit Mama gefahren war, um dort bei Schwester, Freund und Neffchen Mamas Geburtstag zu feiern, in die Anstalt zurückkam, saßen schon alle eifrig beim Basteln. Es war, wie wenn man zu spät auf eine Party kommt und man ahnt, dass die besten Späße schon gelaufen sind. Konzentriert, häufig schweigsam saßen meine lieben, tapferen, meistens lustigen Mitpatient/innen über ihren windowcolor-Fensterbildern, Herbstdekorationen, Laternen. Ich schnippte mit Styroporkugeln, knabberte Chips und dachte daran, w i e hoch es vor einer Woche herging, als meine beiden Atembrüder noch da waren.
Als wir uns vor knapp vier Wochen kennenlernten, kreischten wir vor Glück, e n d l i c h jemand mit fast genau den gleichen seltsamen, von keinem Arzt erklärlichen Symptomen zu treffen. Seither waren wir unzertrennlich und überbaten uns fortan täglich und zum Leidwesen der Station lautstark und hektisch in Schilderungen von Atemereignissen. Denn im Gegensatz zu Depressiven haben Angstgestörte (wie wir) ein extrem hohes Mitteilungsbedürfniss und texten daher ohne Punkt und Komma - und ohne richtig auszuatmen, womit man den Salat hat: die Lungen sind voll und lassen keinen neuen Sauerstoff rein, was sich entsetzlich anfühlt und sehr oft eine Panikattake auslöst. Man nennt das 'aufgesetzte Hyperventilation'. Das weiß ich allerdings nicht von meinen Ärzten aus der Klinik, sondern aus dem Internet. Für die Ärzte hier sind Symptome ohnehin nur Äußerungen von Ängsten oder Depressionen. Daher machen die Ärzte hier eher einen auf smooth. Was gut ist, denn es ist wie beim Fliegen: Je angespannt-professioneller die Stewardessen tun, desto bänger wird einem. Also: Gelassenheit! Und ich war die erste Zeit nur wie manisch auf mein Symptom fokussiert. Doch so allmählich schleicht es sich davon. Habe jedenfalls seit fast zwei Wochen nicht mehr aufgesetzt hyperventiliert und dabei war ich sogar shoppen with my little rockin' sista. Shoppen war bis vor kurzem die Höchststrafe, nein Essen-gehen war schlimmer, wegen massiver Akathasie.
Ich dachte also an meine hochnervösen Atembrüder J. und F., mit denen ich soviel Spaß hatte wie das letzte Mal mit meinen Klassenkameraden im Landschulheim. Einmal ging ich mit den beiden Abends spazieren, wir fehlatmeten um die Wette und wurden immer wütender auf unser Symptom. Da begannen wir im Park zu brüllen und zu schreien, aber das war uns nicht genug. Wir sahen den Springbrunnen und sagten: Wenn wir jetzt in voller Montur einfach in das eiskalte Wasser sprängen, dann würden wir auf alle Zeit geheilt. Ein verlockender Deal. Andererseits sind wir ja schon abergläubisch bzw. zwangsgestört genug und wenn sich das eine erfüllte, dann ginge womöglich eine neue Neurose los. Und außerdem wollten wir keine Verbannung in die 'Geschlossene' riskieren, was für uns Klaustrophobiker auch keine Alternative darstellt. Aber so ganz wollten wir auf eine Wette mit dem Höheren, d.h. der Autosuggestion, nicht verzichten und stiegen also barfuss in das klirrend eisige Brunnenwasser. Natürlich ging es uns noch Stunden später wunderbar.
In diesen Erinnerungen schwelgend und an Schneck denkend (dem ich eine 'Herbstdepression' versprach, weshalb ich schwarze Schiffchen faltete), entdeckte ich plötzlich den Filz. Ich juchzte auf: "Au ja, ich mache eine Joseph-Beuys-Hommage." Mein Sitznachbar, von dem ich soviel Unkenntnis nicht erwartet hätte, fragte: "Wer ist Joseph Bäus?" Ich antwortete: "Mein Freund, Joseph Beuys war kein Seemann nicht."
Ab morgen wieder 'therapeutischen Wochenendurlaub'. Juhu.