Flug übers Kuckucksnest (On LYRICA)
Die zwei besten Dinge vorweg: Es geht mir gut. Und: Ich bin endlich im Besitz eines Notebooks. Und noch endlicher im Besitz eines UMTS-Sticks. Denn leider ist der Psychiatrie-Neubau das einzige Gebäude des Klinikums, das noch über keinen Patienten-Internet-Zugang verfügt. Ich drohte mit Verzweiflung und Depression und da hat mein Psychiater die Notwendigkeit eines Patienten-Netzes erkannt und kümmert sich. Aber solange kann ich nicht warten und so habe ich mir für viele Euros den O2 Loop Surf Stick gekauft. Eigentlich hat mich die Internet-Abstinenz mehr gequält als mein Leiden, das nach Meinung der Ärzte schon erheblich genug ist. (Doktor beim Aufnahmegespräch: "Puuuuuhhhh. Es gibt viel zu tun, aber wir können Sie heilen." - Anousch: "Heilung ist zu viel verlangt. Alles was ich will ist Linderung.")
Und die spüre ich zuweilen.
Ich bekomme ein Medikament mit dem wirklich wunderschönen und einfach unglaublichen Namen LYRICA. Es ist kein Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, worüber ich anfangs ein wenig enttäuscht war, denn so ein Antidepressivum adelt ja auch in gewisser Weise. LYRICA ist als Schmerz- und Epilepsiemittel entwickelt worden, aber es hat sich herausgestellt, dass es auch bei Angst-und Panikstörungen hilft, weil es irgendwie den Hirnstoffwechsel reguliert. Außerdem ist es vergleichsweise nebenwirkungsam. D. h. 2-3 Stunden nach der morgendlichen Einnahme fühle ich mich leicht benebelt, wobei das mitunter nicht nur unangenehm ist, denn es löst kleine Räusche aus wie damals unter Haschisch. Gelegentlich verspüre ich sekundenkurze Euphorieschübe. Nach der Abendeinnahme merke ich fast gar nichts, außer dass ich so schnell einschlafe wie eine Bäuerin zur Erntezeit. Die psychogenen Nebenwirkungen sollen nach einiger Zeit nachlassen. Und die Angst. Wobei ich ja keine Angst habe. Jedenfalls wüsste ich nicht wovor. Nur einzig vor dem Symptom. Das ist in den vergangenen Monaten so mächtig geworden, dass ich mir nicht einmal mehr um etwas Sorgen machen kann. Nur um meine Atmung und um meinen Brustkorb. Natürlich sind alle organischen Werte in Ordnung. Nicht nur das: Ich bin überall im Idealbereich. Eine kerngesunde Anousch.
Dieses Wochenende hatte ich "therapeutischen Urlaub" und der verlief besser, als befürchtet. Es gibt z.Z. zwei Welten: Die behütete hier drinnen, inmitten von Menschen, denen es genauso geht (oftmals noch weitaus schlimmer) und die da draußen, eine Welt voller Trigger. Der Chauffeur kam aus Berlin und ich habe ihm die Topographie meiner Jugend gezeigt: mittelalterliches Gemäuer, Kopfstein gepflasterte Gässchen, sakrale Räume.
Dazu und zu den Hauptattraktionen meines Anstalts-Aufenthaltes ab morgen und dann täglich mehr. In acht Stunden weckt uns die fröhliche Stimme der Schwester und dann gibt es Frühsport - was mir wirklich Spaß macht.
['Sportspiele' meint Tai-Chi ]