Als ich zarte zwanzig war, unterhielt ich eine elektronische Affäre mit einem damals weit über fünfzigjährigen Mann. Es war die Frühzeit des e-mailings und mehrfach musste ich mit meiner – natürlich nur zu diesem Zwecke eingerichteten – Adresse umziehen, weil sich damals verschiedene Anbieter nicht gehalten hatten. Zum Schluss war ich bei web.de. Das binäre tete–a-tete fand irgendwann sein gemäßes Ende. Die Jahre gingen ins Land mit leibhaftigeren Männern. Kürzlich wollte ich mich mal wieder über meine Vergangenheit informieren. Als ich das Postfach öffnete verzeichnete es Null Eingänge. Hunderte Seiten feinster pornografischer Korrespondenz einfach weg, verschwunden, auf irgendeinem Server digital zerrieselt.
Im ersten Augenblick gab es mir einen kleinen Stich. Nicht des emotionalen Verlustes wegen – jegliches Gefühl ist natürlich seither auf Null – sondern des Gefühls, ein Stück Werk sei damit verloren gegangen. Im nächsten Moment gefiel mir der Gedanke, eines, dieses schriftlich fixierten Teils der Biografie entledigt zu sein, und damit an einem uralten Phänomen zu partizipieren, gleichsam am Topos des Unwiederbringlichen.
Anousch O. - 6. Nov, 15:03